Politische Talkshows und Nachrichtensendungen sind in Deutschland zu wahren Expertenschleudern geworden: Es gibt kaum ein Thema, zu dem nicht sofort ein „führender Experte“ aus der Requisite geschoben wird – notfalls eben führend im Führen des eigenen Egos.
Die neue Experten-Inflation
Früher musste ein Experte wenigstens einmal in seinem Leben eine Studie gelesen, eine Fußnote geschrieben oder ein Labor von innen gesehen haben. Heute reicht es, dreimal in derselben Talkshow gesessen zu haben und den richtigen Frame zu bedienen. Die Einladungsliste orientiert sich weniger an Fachkompetenz als an Verlässlichkeit im gewünschten Narrativ: „Hält der Gast die Regierungslinie, kann er bleiben.“
Damit die Sache nicht zu kompliziert wird, werden dieselben Gesichter rotierend über alle Kanäle gereicht: Montag bei Lanz, Dienstag bei Illner, Mittwoch beim Presseclub – und am Donnerstag kommentieren sie dann in der Tagesschau die Aussagen, die sie sich am Montag selbst ausgedacht haben.
Framing statt Fachlichkeit
Das Ziel ist dabei längst nicht mehr die mündige Meinungsbildung, sondern die kontrollierte Empörungsbewirtschaftung. Die Fragen sind suggestiv, die Einspieler vorselektiert, die Stichworte sitzen: „Krise“, „Bedrohung“, „Extremismus“ – und schon steht das semantische Geländer, an dem sich der Fernsehzuschauer gefälligst entlangzuhangeln hat.
https://www.nius.de/analyse/news/zeitenwende-ohne-debatte-deutschlands-experten-desaster-braucht-eine-aufarbeitung
Der „Experte“ dient in diesem Setting als dekorativer Gütestempel: Was ohne ihn wie plumpe Propaganda wirken würde, heißt mit ihm „wissenschaftlich fundierte Einschätzung“ oder „analytische Einordnung“. Dass seine Aussagen oft nicht mehr empirische Basis haben als der Wetterbericht im April, stört niemanden – Hauptsache, die Pointe passt in den gewünschten Frame.
Narrative der Kartellparteien
Praktisch ist, dass diese Experten fast immer genau das sagen, was die sogenannten Kartellparteien ohnehin durchsetzen wollen. Ob es um Kriege, Energiewende, Migration oder Grundrechtseinschränkungen geht – erstaunlicherweise lautet die „wissenschaftliche“ Empfehlung fast nie: „Stopp, durchatmen, Debatte führen.“ Stattdessen heißt es: „Mehr davon, schneller, entschlossener.“
Wer aus der Reihe tanzt, gilt nicht als kritischer Kopf, sondern als „umstritten“, „polarisierend“ oder gleich „Demokratiefeind“ – und verschwindet von der Gästeliste. So entsteht jenes Expertenbiotop, in dem sich alle gegenseitig bestätigen, dass sie recht haben, während draußen die Realität höflich an die Glasscheibe klopft.
Fakes mit Titelzeile
Das wirklich Faszinierende an diesen Figuren: Das Einzige, was sie zuverlässig gemeinsam haben, ist, dass sie genau das nicht sind, als was sie ständig angekündigt werden. „Sicherheitsexperte“, der noch nie eine Einsatzdoktrin von innen gesehen hat. „Ökonom“, der vor allem davon lebt, in Talkshows über Wirtschaft zu reden, statt sie zu verstehen. „Kommunikationsexpertin“, deren Hauptreferenz die eigene Präsenz auf X und Instagram ist.
Gleichzeitig wird jede noch so grobe Fehleinschätzung rasch von der nächsten Talkshow weggespült – Verantwortungslosigkeit als Karrierebooster. Wer die Lage falsch eingeschätzt hat, wird nicht abgesetzt, sondern „nochmal eingeladen, um das für unser Publikum einzuordnen“. Fehlerkultur heißt: Man irrt sich immer in dieselbe Richtung.
Vertrauen als Kollateralschaden
Das Ergebnis dieser Dauerbeschallung ist keine aufgeklärte Öffentlichkeit, sondern ein Publikum, das immer deutlicher spürt, dass hier etwas nicht stimmt. Während Studien ein „stabil mittleres“ Vertrauen in die Medien attestieren, wächst parallel eine massive Skepsis, ob das, was dort als „Expertise“ verkauft wird, nicht in Wahrheit interessengeleitete Meinungsproduktion ist.
Ironischerweise beschädigen ausgerechnet jene „Experten“, die angeblich für Orientierung sorgen sollen, am zuverlässigsten das Vertrauen in Medien, Politik und Wissenschaft. Ihre größte Leistung besteht darin, die Nachfrage nach echten Fachleuten, echten Debatten und echten Widersprüchen dramatisch zu erhöhen – und die Leute zu lehren, beim nächsten eingeblendeten „Experten“-Titel reflexartig zum Ausschaltknopf zu greifen.
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